UND WENN SIE GINGEN

Rebecca C. Schnyder


Theater Konstanz


in Kooperation mit der SCHWEIZERISCHEN SÄNTISBAHN-AG
eine Uraufführung in der Panoramahalle auf dem Säntisgipfel, 2501 m.ü.M.

Musikalische Leitung / Noldi Alder
Regie / Claudia Brier
Bühne / Steven Koop
Kostüme / Annie Lenk
Dramaturgie / Antonia Beermann
Chor / Bismärkli-Schuppel
Foto / Ilja Messl



Friederike Pöschel / Lotti Happle / André Rohde



















Als alle das Dorf verließen, um sich in der Stadt eine neue Zukunft zu bauen, blieben nur
Elis und Klara zurück. Elis ist in ihrer Bewegung eingeschränkt und die kleine Klara wurde
von ihrem Vater zurückgelassen. Beide haben sich hoch droben auf dem Berg in einer
engen Symbiose unter großen Entbehrungen eingerichtet. Beide Frauen vertreiben sich
die Zeit mit Geschichten, in denen sie sich eine Identität zu geben versuchen. Dabei haben
sich beide feste Rituale geschaffen, die nun langsam zerbrechen, weil auch Klara von
einem anderen Leben zu träumen beginnt. Als dann der Tourist Anton, der sich eine
Auszeit nehmen und an diesem Ort die Hütte seines Großvaters wieder renovieren will,
auftaucht, beginnt Klara einen eigenen Weg zu gehen. Am Ende geht sie mit Anton in die
Stadt.So könnte man die Geschichte erzählen, wie sie Rebecca C. Schnyder in ihrem
Auftragswerk des Theaters Konstanz „Und wenn sie gingen“ aufschreibt: ein
Psychogramm zweier Frauen, in der sich Klara aus der Umklammerung von Elis befreien
möchte und Elis dem Mädchen ihre eingeschränkte Mobilität vorspielt, um sie halten zu
können. Aber eine Stärke und Schwäche des Stücks zugleich ist, dass die Autorin die
Vorgänge erzählt, aber die Motivationen weitgehend ausspart und so jede Regie eine
eigene Lesart sich erarbeiten muss. Claudia Brier hat sich in ihrer Konstanzer
Uraufführungsinszenierung dafür entschieden, zunächst einmal das Mythologische des
Stoffes zu erkunden. Zu dieser Entscheidung hat sicherlich der besondere Aufführungsort beigetragen, die Panoramahalle in der Bergstation der Säntisbahn mit Blick auf die
grandiose Bergwelt, der allerdings bei der Premiere durch dichtes Schneetreiben
verhindert wurde. Dennoch spiegelt die Breitwandbühne von Steven Koop etwas von
dieser Monumentalität wieder. Im Zentrum steht dabei ein großer Fels, dessen Oberfläche
mit drachenartigen Strukturen versehen ist, und in dem Friederike Pöschel drin steckt,
deren Kostüm (Annie Lenk) diese Strukturen übernimmt.

Dieses Bild gibt der Figur etwas Unnahbares-Mystisches. Es ist auch Sinnbild der
emotionalen Versteinerung, zu der auch die Sprechweise von Friederike Pöschel beiträgt,
ganz ruhig, schon immer gesagte Sätze in einer immer gleichen Welt. Aus dem
überdimensionierten Berg-Rock kugelt sich gleich zu Beginn die Klara der Lotti Happle
mit schwarzen Plastiksäcken heraus, aus der Geborgenheit in die Welt. Eine Geburt also?
Oder nur Geborgenheit, die Klara im ganzen Stück nicht wieder findet? Lotti Happle spielt
sie als ein immer aufmüpfiger werdendes Mädchen, das sich das Recht auf
Selbstbestimmung erkämpft. Das Pochen auf das Bild einer anderen Welt zwingt Elis,
ihren versteinerten „Rock“ zu verlassen. Auch sie entwickelt nun eine starke Emotionalität
bis hin zum Tanz, um Klara bei sich zu behalten können. Aber da wirkte schon der Anton
des André Rohde in diese enge Beziehung hinein, der aus der Welt des Stadt kam, ein
kräftiger Bursche, ein wenig selbstverliebt, die Welt, wie sie ist, nicht wirklich
wahrnehmend.

Eine besondere Rolle spielt die Musik. Hier entschied sich die Regie, alte traditionelle
Gesänge aus dem Appenzell, wo der Säntis steht und die Autorin herkommt, zu nehmen,
kombiniert mit einem Volksmusiker, Noldi Alder, der Traditionelles und Neues in seinen
Kompositionen zusammenbringt. Der Zäuerli-Chor „Bismärkli-Schuppel“ aus Urnäsch mit
seinen wunderbaren Gesängen bringt die ganze Mystik der Berge zum Ausdruck. Aber wie
Mystik sich mit den Psychogramen der Figuren verbindet, bleibt leider unterbeleuchtet.



Manfred Jahnke am 13.05.2016